Die Pandemie hat Schwachstellen in den Lieferketten der Größten offengelegt und uns gezwungen, alte Strategien zu überdenken. Das Heilmittel für kranke Lieferketten ist in aller Munde und nennt sich: Resilienz. Wir haben unsere Top-3-Strategien zusammengefasst, wie Sie Ihre Lieferkette als MedTech-KMU widerstandsfähiger gestalten, ohne große Investitionen in teure Lieferkettentechnologien zu tätigen.
Risiken für Unterbrechungen in der Lieferkette nehmen zu
Materialengpässe, Transportschwierigkeiten, Lieferverzögerungen, Preissteigerungen – das sind die 4 Schlagworte, die Unternehmen nach wie vor Bauchschmerzen bereiten.
COVID-19 hat nicht nur Menschen krank gemacht, sondern auch unsere Lieferketten. Lockdowns und Grenzkontrollen führten zu Container-Staus in den Häfen, lange Wartezeiten waren die Folge. Gleichzeitig stieg die Nachfrage an Medizinprodukten deutlich an.
Die toxische Kombination aus Materialengpässen, langen Lieferzeiten und erhöhter Nachfrage stellte die MedTech-Branche vor besonders großen Herausforderungen. Dabei mussten viele Unternehmen feststellen, dass altbewährte Strategien nicht mehr funktionieren [1], [2].
Während die Pandemie nun langsam abklingt, warten bereits neue Herausforderungen – Kriege, Naturkatastrophen, Cyberangriffe oder Lieferverzögerungen durch unvorhersehbare Situationen, wie z.B. die Blockade des Suezkanals im März 2021.
Eine aktuelle Studie fasst die Auswirkungen dieser Risiken in Zahlen: Bei der Modellierung potenzieller Szenarien über einen Zeitraum von 10 Jahren schätzt McKinsey, dass ein durchschnittliches MedTech-Unternehmen aufgrund von Schocks in der Lieferkette ca. 38 % des Jahresumsatzes verlieren könnte [3].
Die FDA reagiert auf das Problem
Im Jahr 2020 erhielt die Food and Drug Administration (FDA) zum ersten Mal die gesetzliche Befugnis, sich auf Unterbrechungen der Lieferkette für Medizinprodukte vorzubereiten. Damit kann die FDA von den Herstellern Informationen über Herausforderungen in der Lieferkette einholen, um kritische Engpässe zu verhindern oder zumindest zu entschärfen [4].
Zukünftig plant die FDA, Risikopläne von den Herstellern einzufordern, die Informationen über alternative Lieferanten oder Produktionsstätten beinhalten sollen.
Somit macht es gleich zweimal Sinn, sich über alternative Strategien Gedanken zu machen. Zum einen zwingen uns äußere Umstände regelrecht dazu und zum anderen möchte auch die FDA erfahren, wie wir Risiken in den Lieferketten vorbeugen.
3 Strategien, um Ihre Lieferkette widerstandsfähiger zu machen
Obwohl es heutzutage viele Möglichkeiten gibt, die Lieferkette zu optimieren, z. B. mit IoT-Sensoren oder KI-Technologie, haben KMUs oft nicht die Ressourcen, um solch umfassende und komplexe Systeme zu implementieren. Daher geben wir Ihnen 3-Strategien an die Hand, die für Sie als MedTech-KMU umsetzbar sind.
1. Verschaffen Sie sich Über- & Durchblick
Es mag banal und einfach klingen, doch es ist die Grundvoraussetzung für gute Strategien: Verschaffen Sie sich einen Überblick über den Status quo. Gehen Sie die Lieferkette Schritt für Schritt durch und fragen Sie sich, wo Risiken lauern und wie Sie diese bewältigen würden. Ein guter Überblick verdeutlicht die aktuellen Prozesse und zeigt mögliche Fehlerquellen auf.
Die folgenden Fragen können dabei hilfreich sein:
Wie viele Lieferanten für welche Komponenten haben wir?
Was sind die Stärken und Schwächen unserer Lieferanten?
Wo liegen mögliche Gefahrenquellen (z.B. Materialengpässe, Transportwege, politische und wirtschaftliche Situation, kulturelle Unterschiede, Kommunikationsschwierigkeiten, Wechselkursschwankungen, Abhängigkeit von einem einzigen Lieferanten oder Gebiet)?
Welche Folgen hat der Ausfall eines Lieferanten für den Rest der Lieferkette?
Wie reagieren wir auf Ausfälle, und welche Alternativen haben wir?
Wie gehen wir mit Nachfrageschwankungen um?
Wie können wir den Informationsfluss entlang der Lieferkette verbessern?
Verfügen unsere Lieferanten über alle Dokumente, die die (EU) MDR 2017/745 verlangt? (Verwenden Sie dazu gerne unsere Checkliste für Lieferantenkonformität)
2. Entwickeln Sie einen Plan B
In der MedTech-Branche ist es üblich, von einem einzigen Lieferanten abhängig zu sein. Dies hat sich zwar im Hinblick auf Einsparungen durch große Mengen als vorteilhaft erwiesen, doch es mangelt an Ausfallsicherheit [2].
Stellen Sie sich vor, Ihr Lieferant kann plötzlich nicht mehr liefern. Die Krise hat dafür gesorgt, dass keine Materialien vorhanden sind und auch die Arbeitskräfte fehlen. Monatelange Verzögerungen sind die Folge.
Doch Ihre Endkunden sind Krankenhäuser, die auf Ihre Produkte angewiesen sind. Keine Produkte sind keine Option – die Versorgung von Patienten steht auf dem Spiel.
Genau so erging es einem unserer Kunden.
Wie viele KMUs in der Branche war er abhängig von einem Lieferanten. Was seit Jahren hervorragend funktioniert hat, brach plötzlich zusammen.
Was folgte war das totale Chaos – er musste die Produktion vorübergehend stilllegen, konnte Mitarbeiter nicht beschäftigen und Endkunden nicht beliefern.
Ein alternativer Lieferant musste her – besser gestern als morgen.
Doch die Suche nach Alternativen nimmt viel Zeit und Ressourcen in Anspruch. Erstens müssen Sie einen Lieferanten finden, der die richtige Qualität in der gewünschten Menge liefern kann. Und zweitens muss dieser Lieferant alle Dokumente mitbringen, die von der MDR gefordert werden.
Kein einfaches Unterfangen – vor allem, wenn alle Ressourcen für die immer näher rückende Umsetzungsfrist der Medizinprodukteverordnung im Einsatz sind.
Unser Kunde stand nun vor der Wahl, sich selbst auf die Suche nach einem Lieferanten zu begeben oder diese Aufgabe auszulagern.
Aufgrund von mangelnden Kapazitäten entschied er sich für zweiteres und beauftragte uns, eine Lösung zu finden.
Da wir bereits über ein großes Netzwerk an MDR-konformen Lieferanten verfügen, konnten wir schnell den richtigen Partner ausfindig machen. Wir haben den Lieferanten bereits im Vorfeld auditiert, sodass wir die Qualität garantieren und alle notwendigen Unterlagen sofort zur Verfügung stellen können.
Dank dieses Netzwerks erhielt unser Kunde nach bereits 10 Tagen Muster. Innerhalb von nur 2,5 Monaten war alles eingerichtet – von den Mustern bis zur Massenproduktion in großen Mengen (ca. 260.000 Stück pro Monat).
So schaffte es unser Kunde doch noch, die Produktion am Laufen zu halten und Krankenhäuser weiterhin zu beliefern. Und es läuft sogar so gut, dass die monatlichen Mengen inzwischen erhöht wurden.
Was uns dieser Fall mehr als deutlich gemacht hat: die enorme Wichtigkeit alternativer Bezugsquellen.
3. Geben Sie der Qualität den Vorrang
Eine weitere Strategie, um die Lieferkette funktionaler und widerstandsfähiger zu gestalten, ist die Umstellung von einem preisbasierten Modell auf ein wertbasiertes Modell.
Anstatt die Kosten als oberste Priorität bei der Beschaffung zu betrachten, sollten Sie sich auf Materialien und Technologien konzentrieren, die die bestmöglichen Ergebnisse für die Patienten liefern [2], [5].
Stabile Prozesse und eine vorschriftsmäßige Dokumentation sind dafür von entscheidender Bedeutung.
Ja, die Kosten sind natürlich wichtig. Wir dürfen jedoch nicht das eigentliche Ziel aus den Augen verlieren: sichere Medizinprodukte rechtzeitig zu liefern, um Patienten zu versorgen.
Sicherheit sollte bei allem, was Sie tun, das A und O sein, auch bei der Lieferkettenstrategie.
Daher sollte bei der Suche nach Bezugsquellen der Schwerpunkt auf der Qualität und nicht auf dem Preis liegen.
Stellen Sie sicher, dass Ihre Lieferanten alle von der MDR geforderten Anforderungen erfüllen (siehe Checkliste) und einen soliden Lieferstrom bereitstellen können. Somit sorgen Sie für eine größere Zuverlässigkeit für Ihre Endkunden.
Autorin: Sophia Hurmann
Referenzen
[1] “2022: Supply chains will face many challenges this year | World Economic Forum.” https://www.weforum.org/agenda/2022/01/challenges-supply-chains-covid19-2022 (accessed Nov. 21, 2022).
[2] “Why MedTech Companies are Still Struggling with their Supply Chains and How to Alleviate Long-term Risks - iData Research.” https://idataresearch.com/why-medtech-companies-are-still-struggling-with-their-supply-chains-and-how-to-alleviate-long-term-risks/ (accessed Nov. 21, 2022).
[3] “Making medical-devices supply chains more resilient | McKinsey.” https://www.mckinsey.com/capabilities/operations/our-insights/the-resilience-imperative-for-medtech-supply-chains (accessed Nov. 21, 2022).
[4] Fda, “FDA FACT SHEET MITIGATING AND PREVENTING MEDICAL DEVICE SHORTAGES AND PRIORITIZING PUBLIC HEALTH.”
[5] “DRIVING VALUE-BASED HEALTHCARE IN EUROPE MEAT and Value-based Procurement”, doi: 10.1056/NEJMp1011024#t=article.
Comments